Recovery am Beispiel meines Lebens

Recovery ist in aller Munde, wenn es um psychische Gesundheit geht. Doch wie sieht so etwas aus? Was erlebt ein Mensch, der den Recovery-Prozess durchlaufen hat und noch durchläuft? Ich möchte an dieser Stelle den Versuch wagen zu berichten, was Recovery mit mir gemacht hat.

Wie bei vielen Menschen, die eine psychische Erkrankung durchgemacht haben, kam auch bei mir eine Zeit, in der ich die Erinnerung an meine Depression ausblenden wollte. Das Leben wollte gelebt werden ohne die Störungen durch die Depression. Meine ehrgeizigen Ziele konnte ich nicht in einer depressive Phase umsetzen, weil mir da der Elan dazu fehlte. Viele Jahr habe ich so meine Erkrankung verdrängt und mich nicht mit ihr befasst.

Wie wir jedoch wissen, funktioniert das eine Zeit lang ganz gut. In meinem Fall sehr gut sogar.Ich dachte nicht nur einmal ich hätte meine Depressionen hinter mir gelassen und endlich für mich einen Weg gefunden, ein sinnvolles und lebenswertes Leben zu führen. Doch gerade dann, wenn man glaubt so etwas hinter sich gelassen zu haben, passiert etwas völlig unerwartetes und wirft einen zurück.

Bei mir war dies ein Lehrgang, den ich neben meiner beruflichen Tätigkeit machte. Als Mitglied einer evangelisch freikirchlichen Gemeinde hatte ich die Möglichkeit und auch einige Anfragen mal eine Predigt zu halten. Um hierfür meine Wissen und meine Fähigkeiten auszubauen, besuchte ich einen theologischen Grundkurs. Gewissermaßen ist dieser Kurs ein kleines Theologiestudium, das nicht so vertieft stattfindet. Man lernt die Grundlagen der Theologie und einige Techniken, mit denen man sich die biblischen Texte erarbeiten kann.

Zwischen März 2005 und August 2007 besuchte ich an diversen Wochenenden diesen Kurs und hatte teils sehr schöne Stunden mit den Kommilitonen aus ganz Deutschland.

Bei einem Urlaub 2006 in Schweden, bemerkte ich zum ersten Mak, dass ich nicht zur Ruhe kam und eine Erholung so überhaupt nicht eintrat. Ich musste etwas tun! Doch was?

Im Januar 2007 gestand ich mir ein, mir die vergangenen 1 ½ Jahre zuviel zugemutet zu haben und beantragte bei der Rentenversicherung eine Reha.

Damit war der erste Recovery-Schritt getan. Ich nahm die Situation so wie sie war an. Auch hier zeigte sich meine „Resilienz-Superkraft“ Akzeptanz. Sich einzugestehen, dass man es alleine nicht schaft und Hilfe benötigt ist der zweite Schritt, der sich direkt an den ersten anschließt. Erst dann, wenn die Situation im jetzigen Zustand so akzeptiert wird, wie sie gerade ist, und zeitgleich das Eingeständnis Hilfe zu benötigen stattfindet, kann eine Veränderung beginnen. In diesem Fall ist die Veränderung die Gesundung und Genesung.

Gesundung im psychischen Bereich des Lebens ist nicht zu vergleichen mit einem Beinbruch. Der Beinbruch ist nach sechs Wochen verheilt und nach einer Physiotherapie kann man spätestens nach ein paar Monaten wieder ganz normal gehen. Die Seele heilt nicht ganz so schnell. Das musste ich in der Reha zwischen Juli und September 2007 feststellen. In der von mir angestoßenen Reha wurden viele Fragen aufgeworfen, um deren Beantwortung ich mich in einer ambulanten Therapie kümmern musste. Im Frühjahr 2008 begann ich die ambulante Psychotherapie bei einer Therapeutin in meiner Nähe. In dieser Therapie wurde mir bewußt an welchen Stellschrauben ich drehen konnte und auch mußte um ein für die Psyche gesünderes Leben zu führen.

Als mir 2010 mein Arbeitgeber kündigte war ich immer noch darauf aus weiterhin im Bereich der EDV tätig zu werden. Jedoch kamen auf meine Bewerbungen viele Absagen, da ich bereits damals schon sehr offen mit meiner Erkrankung umging und damit meine „Fehlzeiten“ ohne Beschäftigung begündete.

Irgendwann wurde mir klar, dass meine Zukunft nicht mehr im EDV-Sektor zu sehen war.Das ständige Lernen neuer Software und das damit verbundene Aktualisieren meiner Zertifikate ging mir zusehends auf die Nerven. Ich suchte etwas, wo ich meine bisher erlangten Erfahrungen einbringen konnte.

Während eines Aufenthaltes 2011/12 in der Tagesklinik sprach ich darüber auch mit dem Sozialarbeiter und der schlug mir einen Kurs vor, in dem die erlanten Vorerfahrungen eine Grundvoraussetzung waren. Auch die mit der Erkrankung Depression. Es war eine Flyer von EX-IN Hamburg, der mich auf eine neue sinnvolle Tätigkeit hinwies: Genesungsbegleiter.

Hier zeigt sich, dass es manchmal den Anstoß von außen braucht um Veränderung in Gang zu bringen. Veränderung kann wie bei mir im beruflichen Kontext nötig sein, aber auch in anderen Bereichen kann es sinnvoll sein etwas zu verändern und krankmachende Situationen zu verlassen. Für mich war der externe Anstoß die Kündigung.

Durch Mitpatienten und Kommilitonen baute ich neue Netzwerke in meinem sozialen Umfeld auf, in denen ich endlich so sein konnte wie ich wirklich war. Netzwerke, die mir gut tun. Ohne Leistungsdruck und mit den depressiven Phasen. Durch Kurse bei Therapeuten und Therapeutinnen lernte ich einen neuen Umgang mit meiner Erkrankung. Ganz wichtig waren für mich jedoch die Gespräche mit meinen Mitpatienten. Was bei dem einen funktionierte, könnte ja auch mir gut tun.

Wirklich weitergebracht haben mich Erlebnisse, in denen ich in alte Verhaltensmuster zurückfiel. Diese Erlebnisse bewirkten eine Reflektion, die mich letztendlich weiterbrachten. Wenn ich Hilfe benötigte, dann suchte ich sie mir. Auch bei professionell Tätigen.Ich machte noch zwei weitere ambulante Psychotherapien. So fand ich einen neuen Umgang mit meiner Erkankung und konnte alte belastende Situationen aufarbeiten und loslassen.

Sehr geholfen hat mir auch der offene öffentliche Umgang mit den Depressionen. Immer wieder darüber zu berichten, was ich damit erlebt habe,hat ein Nachdenken bewirkt, das mich letztendlich zu neuen Verhaltensmustern brachte. Aber auch die liebevollen Rückmeldungen von Menschen in meinem Netzwerk bewirkten Veränderung.

Welche Schritte von Recovery sind hier ersichtlich? Beginnend mit Akzeptanz und dem Eingeständnis Hilfe zu benötigen, kamen Anstöße zur Veränderung. Auch aus mir selbst. Der Wunsch ohne beruflichen Druck leben zu können, erfüllte sich mit meiner Verrentung, die ich selbst angestoßen hatte. Mein Netzwerk begleitete mich und tut dies teilweise noch heute. Wichtige Impulse kamen aus dem Netzwerk.

Mein Recovery-Prozess begann 2007 und ist noch lange nicht fertig. Das zeigt, dass Recovery ein Prozess ist und kein fertiges Produkt. Ich bin gespannt was dieser Prozess noch alles für mich bereit hält.

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.