Was hat mir geholfen, in der Corona-Krise nicht in Depression zu verfallen?

Ich habe in den vielen Jahren seit meiner Diagnose Burnout und Depressionen Vieles gelernt um meine Stimmung zu regulieren: Angefangen bei Entspannungstechniken wie PMR oder bewußtes Atmen bis hin zu Achtsamkeitstraining. In den letzten Jahren gab es Phasen, in denen es mit schwer fiel diese Skills anzuwenden. Allzu oft bin ich deshalb in einer depressiven Phase gelandet.

Ein erneuter tagesklinischer Aufenthalt in 2019 hat mir gezeigt, wie viel ich schon gelernt habe. In der Tagesklinik ging es hauptsächlich um Menschen, die zum ersten Mal in einer psychischen Krise gelandet sind. Für mich als Erfahrener, war da nichts Neues dabei. Anfangs hat mich das geärgert. Heute weiß ich, dass mir das nur gezeigt hat wieviel ich bereits gelernt habe und was ich alles weitergeben kann an Andere.

Skills sind gut und schön, wenn man sie aber nicht anwendet, dann verkümmern unsere Sinne dafür. Sie immer nur alleine anzuwenden, führt irgendwann dazu, dass man abstumpft und die Skills ihre Wirkung nicht mehr entfalten können.

Dann wird es Zeit das Gelernte auch an andere Menschen weiterzugeben oder neue Skills zu erlernen.

Irgendwann ist man aber auch in der Lage, die Skills zu reduzieren oder gar ganz auf sie zu verzichten.

Das Zauberwort hierfür lautet: Achtsamkeit.

Was heute einen teils inflationären Gebrauch hat, ist zum Beispiel für mich eine sehr gute Sache, um festzustellen, wann mir etwas zu viel wird. Auch das habe ich in den letzten Jahren ausreichend trainiert: Darauf zu achten, wann mir eine Sache, die ich gerade tue, nicht mehr gut tut. Dann höre ich kurzzeitig mit der Tätigkeit auf und mache etwas, was mir Zufriedenheit und Freude verschafft. Ein Spaziergang zum Beispiel, auf dem ich darauf achte, was für schöne Dinge ich rechts und links des Weges entdecken kann. Die halte ich dann mit der Smartphone-Kamera fest. Später kann ich mich daran erinnern und erfreuen. Oder ich kümmere mich erst einmal um mein Hobby, bastle an meiner Modelleisenbahn, schaue mir frühere Bilder an.

Konkret habe ich in der jetzigen Pandemie gemerkt, dass mir die vielen Nachrichten und Theorien zur Corona-Pandemie irgendwann zu viel wurden. Verschwörungstheorien zu meiden und ein bewußter Konsum nur für mich wichtiger Nachrichten und ist für mich der Weg gewesen meine Angst davor zu sterben, ablegen zu können. Und ich lasse es mir bislang nicht nehmen, bei einem Spaziergang auf die schönen Dinge zu achten, die ich sonst vielleicht übersehe. Und das jeden einzelnen Tag.

Was mir sehr viel zurück gibt, ist die Weitergabe meiner Erfahrungen, die ich mit meinen Depressionen oder meinem Burnout gesammelt habe. Auch und gerade jetzt in der aktuellen Situation. Der Verein Genesungsbegleitung und Peerberatung Hamburg bot eine Telefon- und Mailbegleitung für Menschen in einer seelischen Notlage während der Corona-Krise an, bei der ich den Part mit der Emailbegleitung übernommen habe.

Außerdem hat mich über diese Webseite ein junger Mann kontaktiert, den ich seither begleiten darf. Solch eine Begleitung ist nicht nur Last und Verantwortung, sondern gibt auch sehr viel zurück.

Erfahrungswissen ist sehr wertvoll. Es wird in vielen Situationen zwar nicht wertgeschätzt – in der Wirtschaft zählt nur, was Du leisten kannst – es ist aber ein Schatz, aus dem wir schöpfen können. Unsere jeweiligen Erfahrungen sind auch Leitlinien, an denen wir (Ver-)Änderungen ablesen und davon ableiten können. Ohne Erfahrungen würden viele von uns heute noch auf Knien auf dem Boden versuchen vorwärts zu kommen.

Und nicht jeder, der auch eine Depression erlebt hat, hat sie genauso erlebt wie ich. Jeder Mensch macht eigene Erfahrungen. Ein Skill, das mir hilft, muss nicht meinem Gegenüber helfen.

In der Begleitung von Menschen ist es wichtig, sich diese Offenheit für unterschiedliche Erfahrungen und Hilfen zu bewahren. Wer offen ist für Anderes kann auch etwas Neues kennenlernen.

Auch das kann zu Veränderung führen – größtenteils bei uns selbst.

Ich möchte diesen Text mit einem Zitat von Mahatma Ghandi abschließen:

„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“

Das heißt aber auch: Die Veränderung, die ich mir für mein Gegenüber wünsche, beginnt in mir.

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